Möglichkeit eines strategisch gesteuerten Neuanfangs nach der Pandemie

Wir denken weiter - Lajos Fischer sieht in der Pandemie Chancen für die Zukunft zu lernen.

16.06.21 –

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kiechle,

die Zeit des „Ausnahmezustandes“ wegen der Pandemie nähert sich ihrem Ende. Es ist höchste Zeit, sich den Herausforderungen strategisch zu stellen. Die von der Bundespolitik wiederholte „Fahrt auf Sicht“ hat ausgedient und kann niemanden mehr überzeugen. Vor allem weiterhin auf die Entscheidungen des Landes und Bundes zu warten, können wir uns nicht mehr leisten. Es geht auch nicht mehr, der Verwaltung die notwendigen Entscheidungen zu überlassen, das Einbeziehen des Stadtrates und der Stadtgesellschaft darf nicht weiter aufgeschoben werden.

Meiner Meinung nach brauchen wir eine Plattform, die die Funktionen der demokratischen Beteiligung mit denen eines kommunalen „Think tanks“ vereint, Entscheidungen vorbereitet (sowie eventuell in einem definierten Rahmen selbst trifft) und die Interessen unserer Stadtgesellschaft nachhaltig und perspektivisch vor Augen hat. Außerdem soll sie die bestehenden Gremien so entlasten, dass diese sich auch ihren ureigenen Aufgaben in ausreichendem Maße widmen können. Ich könnte mir beispielsweise die temporäre Einrichtung eines Ausschusses oder einer Kommission/Arbeitsgruppe „Neuanfang - Gestärkt aus der Pandemie“ vorstellen.

Die wichtigsten Aufgaben dieses Gremiums sollten sein: - Im Vorlauf der Entscheidungen den nötigen Diskurs zu führen und den Stadtrat dabei zu unterstützen und zu stärken, dass dieser sich bei der Rückkehr in die Normalität nicht auf die Wiederherstellung der alten Verhältnisse konzentriert, sondern die nachhaltige und gerechte Entwicklung unserer Stadt konsequent plant und durchsetzt.

- „Man sagt, das Coronavirus leuchte wie ein Scheinwerfer in die Schmuddelecken der Republik, es lege gnadenlos Versäumnisse und Defizite offen“, schreibt Heinrich Wefing in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ (29.04.2021). Es gilt, diese Versäumnisse und Defizite in unserer Stadt zu definieren und Lösungswege vorzuschlagen. Auf die Themen Gesundheit, Pflege, Bildung und Digitalisierung muss hierbei ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Bei Maßnahmen zur Wiederbelebung der Innenstadt ist auf die Stärkung des regionalen Bezugs und auf die Förderung der kulturellen Vielfalt zu achten.

- Die größten Verlierer der Pandemie und der Krisenpolitik sind die Frauen, die unteren und mittleren Einkommensschichten, Menschen mit Migrationshintergrund, kleine Unternehmen und Dienstleister, Kinder und Jugendliche, die Kunstschaffenden. Ihre Integration muss konsequent vorangetrieben werden.

- Die größten Risse erlitt und erleidet der gesellschaftliche Zusammenhalt der Menschen. Es wird lange dauern, bis die Folgen der „sozialen Distanz“ einigermaßen ausgeglichen, die bei der Diskussion über die Richtigkeit der Corona-Maßnahmen entstandene tiefe emotionale Spaltung gemindert und die psychischen Folgen der Vereinsamung geheilt sind. Es gilt, im Dialog mit den Bürger*innen Auswege zu finden.

- In der Krisensituation werden in den Fachausschüssen neue, begründete Bedarfe formuliert. Auf erreichte Errungenschaften will natürlich niemand verzichten. Einsparungen, die alle im gleichen Maße betreffen, wären ungerecht, weil durch die Krise nicht alle gleichermaßen getroffen wurden und weil bei dem Ausweg aus der Krise manche Maßnahmen eine Schlüsselfunktion spielen. Einigermaßen gerechte (und oft unangenehme) Entscheidungen im HFA und im Gesamtstadtrat können nur auf der Grundlage einer Gesamtstrategie getroffen werden, deren Aufstellung sich die beiden Gremien alleine nicht leisten können, ohne ihre ureigenen Aufgaben zu vernachlässigen. - Das neue Gremium soll für die Behandlung der einzelnen Themenfelder im nötigen Maße Fachleute einbeziehen und Betroffene anhören.

- Es ist darauf zu achten, alle möglichen und nötigen Zuschüsse und Projekte, die vom Bund, Land und anderen Geldgebern angeboten werden, konsequent in Anspruch zu nehmen.

- Dieses Gremium kann die Zusammenarbeit in seinem Aufgabengebiet in der Region vorantreiben und begleiten.

Wenn die Menschen wahrnehmen, dass sich die Entscheidungsträger*innen vor Ort den Herausforderungen bewusst und strategisch stellen, steigt ihre Zuversicht. Und Zuversicht ist das wichtigste symbolische Kapital, was wir heute brauchen. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kiechle, mit meinem Brief möchte ich gerne eine aktuell notwendige Diskussion anstoßen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie dieses Anliegen unterstützen würden

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